Tempo 30 – Interview mit Dr. Maiken Winter

Seit Fahrzeuge erfunden wurden, gibt es Diskussionen um die Geschwindigkeit. Zu viele Autos fahren in den Städten und Gemeinden. Sie belasten die Menschen durch Feinstaub und einen hohen Lärmpegel, ganz zu schweigen von der Unfallgefahr. Ist Tempo 30 innerorts die Lösung für diese Probleme?

Wo Autos langsamer fahren, ist es ruhiger und die Luft reiner. Unfälle verlaufen harmloser und es gibt weniger Verkehrstote. Das sind ziemlich unbestrittene Vorteile vor allem für die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer und die Anwohner.

Die Gegner dieses Konzeptes behaupten (gestützt auf eine Veröffentlichung des ADAC), die für Tempo 50 optimierten Autos würden bei Tempo 30 mehr Abgase ausstoßen. Und wenn Tempo 30 auch noch mit „Rechts vor Links“ kombiniert wird, entsteht durch das häufige Abbremsen und Beschleunigen genauso viel Lärm und Feinstaub wie bei Tempo 50.

Für viele Autofahrer ist es bereits jetzt sehr schwer auszuhalten, mit Tempo 30 hinter einem Traktor herzufahren, weil sich die (gefühlte) Zeit, die für einen bestimmten Weg nötig ist, verlängert. Dabei muss heutzutage alles immer schneller gehen. Lässt sich in so einer Gesellschaft Tempo 30 durchsetzen?

Beispiel Peiting

Als im Jahr 2010 die Gemeinde Peiting dazu aufrief, Arbeitsgruppen zur Gestaltung der Ortsmitte zu bilden, erarbeitete auch der Arbeitskreis Verkehr der Umweltinitiative Pfaffenwinkel (UIP) Vorschläge. Unter anderem wurde bereits hier eine Tempo-30-Zone im Ortskern von Peiting gefordert, um durch Verkehrsberuhigung die Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern in diesem Bereich zu erhöhen. Die Vorschläge wurden Bürgermeister Asam und Herrn Hollrieder von der Gemeindeverwaltung übergeben, gelangten jedoch nicht auf die Tagesordnung der Marktgemeinderatssitzung.

Ende 2016 wurde die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) geändert, sodass Tempo-30-Zonen auch dort eingeführt werden können, wo keine besondere Gefahrenlage vorliegt. Der Peitinger Marktgemeinderat nutzte diese Möglichkeit und beschloss Tempo-30-Zonen in allen reinen Wohngebieten, die seit 17. Mai 2017 gelten.

Bundestagskandidatin Maiken Winter stellt im Interview das Konzept der ÖDP „Mensch vor Auto. Tempo 30 innerorts“ für die OHA-Leser vor. Damit die OHA-Leserinnen und -Leser mehr erfahren über das Konzept Tempo 30 innerorts, werden in den nächsten Monaten die Bundestagskandidaten aller Parteien im Wahlkreis Weilheim befragt.

 

UIP: Frau Dr. Winter, Sie haben gemeinsam mit den ÖDP-Kreisverbänden Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen eine Kampagne gestartet: „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“. Was wollen Sie damit erreichen? Unser Leben wird immer stärker vom Auto beeinflusst – durch Lärm, dreckige Luft und Aggressivität von VerkehrsteilnehmerInnen. Schnelles Anfahren, aufheulende Motoren, ein immerwährender Fluss von Autos, der einem das Überqueren von Straßen erschwert, tägliche Verkehrsunfälle in Städten und Dörfern – all das müsste nicht sein, wenn wir den Verkehr entschleunigen würden. Dazu gibt es ein sehr einfaches, unkompliziertes und kostensparsames Mittel: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Dörfern und Städten. Dabei sollen Tempo 50 und andere Geschwindigkeiten zu Ausnahmen werden, über die im Einzelnen die Gemeinden selbst entscheiden können. Mehrere europäische Städte – z.B. Edinburgh und Graz – haben bereits die Vorteile von Tempo 30 erkannt und diese Regelung übernommen. Damit wollen wir die Sicherheit und Lebensqualität in Städten und Dörfern erhöhen und das Bewusstsein stärken, dass alle Verkehrsteilnehmer ein gleichwertiges Recht auf sichere und freie Fortbewegung haben sollten. Letztendlich benötigen wir hierfür eine Änderung in der Straßenverkehrsordnung. Diese soll Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt auf den Weg bringen. Dazu wollen wir ihn mit möglichst vielen gesammelten Unterschriften überzeugen. UIP: Was hat Sie zu dem Schritt bewogen, Tempolimit 30 im gesamten innerörtlichen Raum und nicht nur in ausgewiesenen Wohngebieten zu fordern? Dafür gibt es v.a. vier Gründe: 1. Der Verkehr soll insgesamt entschleunigt werden, damit alle Verkehrsteilnehmer sicherer unterwegs sind. Menschen in Wohngebieten oder in Schulen sitzen dort ja nicht fest, sondern gehen, radeln oder fahren von dort in andere Stadtteile. Auf deren Weg ist ebenso Sicherheit gefordert wie direkt in einem Wohngebiet oder direkt vor einer Schule. Und Tempo 30 ist sehr viel sicherer, denn: 2. Bei Tempo 30 wird der Bremsweg halbiert. An dem Punkt, an dem ein Auto, das mit 30 km/h unterwegs war, schon steht, fährt eines mit 50 km/h noch ungebremst. Tempo 30 verringert daher die Zahl der Unfälle: schwere Unfälle werden um 30% seltener, tödliche um etwa 80%. Tempo 30 würde alleine in Deutschland Hunderte von Menschenleben retten, jedes Jahr. 3. Bei Tempo 30 geht es nicht „nur“ um Sicherheit; es verringert auch die Belastung der BürgerInnen, u.a. durch a. Geringere Luftverschmutzung. In Graz haben seit 1992 die NOx-Emissionen um 24% abgenommen – dort herrscht seit 1992 ein generelles Tempo-30-Limit mit Ausnahme der Hauptstraßen. Auch zeigen Untersuchungen in mehreren Städten, dass bei Tempo 30 die Feinstaubbelastung zurückgeht. Tempo 30 nur in ausgewiesenen Wohngebieten würde die Belastung längst nicht so stark verringern. b. Geringerer Straßenlärm. Ein gleichmäßiger Verkehr – also ohne starkes Gasgeben und Bremsen reduziert den Lärm um 3 dB. Das entspricht einer Halbierung des wahrgenommenen Lärms (siehe auch weitere Informationen unter www.30kmh.eu). Viele Menschen erkranken auf Grund der Lärmbelastung – Lärmschutz ist also auch Gesundheitsschutz. 4. Wir hoffen, dass durch Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit langfristig ein Gesinnungswandel entsteht, so dass die Interessen der Autofahrer nicht mehr vor den Interessen der Menschen vor Ort stehen. Dazu möchten wir das Bewusstsein dafür schärfen, wie stark das Auto die Lebensqualität unserer Städte und Dörfer verringert – und aufzeigen, wie leicht wir die heutige Situation ändern können. 5. Am Ende hoffen wir, dass Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit dazu führt, dass mehr Menschen mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind – gleichzeitig setzten wir auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Tempo 30 dient also auch dem Klimaschutz. UIP: Auch die Umweltinitiative Pfaffenwinkel diskutiert immer wieder über diese Forderung, hat aber bisher nicht daran geglaubt, sie in die Tat umsetzen zu können. Wie wollen Sie vorgehen, um Ihr Ziel zu erreichen? Durch Infostände und Vortragsabende möchten wir möglichst viele Menschen für dieses Thema sensibilisieren und die Vorteile von „Tempo 30 innerorts“ aufzeigen. Mit unseren gesammelten Unterschriften wollen wir Druck auf Verkehrsminister Dobrindt machen. Es geht nicht an, dass weiterhin das Auto vor dem Menschen steht! Wir haben verschiedene Ansätze, um möglichst viele Menschen zu erreichen: 1. Unterschriftenstände. In den nächsten Wochen haben wir Unterschriftenstände in verschiedenen Städten unseres Wahlbezirks – in Schongau, Penzberg, Murnau und Garmisch-Partenkirchen. Letzten Freitag waren wir in Weilheim, wo wir in wenigen Stunden über 100 Unterschriften sammelten. Große Unterstützung fanden wir bei älteren Menschen, Menschen im Rollstuhl und Menschen die Rollatoren benötigen. Für sie ist eine Entschleunigung natürlich besonders wichtig, denn oft ist es für sie fast ein Ding der Unmöglichkeit, eine stark-befahrene Straße zu überqueren. 2. Internet-Kampagne. Über unsere Webseiten (http://www.oedp-gap.de und http://www.oedp-weilheim-schongau.de) sowie über Facebook (www.facebook.com/bundestagskandidatin.maikenwinter) informieren wir zu unserer Kampagne. Dort kann man auch Unterschriftenlisten herunterladen. 3. Flyer. Wir haben mit Hilfe des VCD (Verkehrsclub Deutschland) einen Flyer zu Tempo 30 erstellt, der alle wesentlichen Argumente zusammenfasst. 4. Zeitungsartikel. Über den Kontakt zur Presse hoffen wir, dass in den verschiedenen Städten über unsere Kampagne berichtet wird. UIP: Nun gibt es auch immer wieder kritische Stimmen gegen dieses Vorhaben. So bestehen Befürchtungen, dass hohe Kosten bei der Umsetzung entstehen. Zum Beispiel müssen die betreffenden Lichtsignalanlagen neu justiert werden. Auch die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel müssen an die veränderte Fahrtzeit angepasst werden und dies mit weiteren Fahrzeugen und Fahrern ausgleichen. Wie stehen Sie dem gegenüber? Dieses Argument ist für mich vollkommen inakzeptabel. Wenn man sich die geringen Kosten ansieht, stehen sie in keinem Vergleich zu den Kosten, die notwendig wären, wenn wir andere Maßnahmen zur Entschleunigung im Straßenverkehr ergreifen – wie z.B. sicherere Radwege, Untertunnelung von Straßen, Umgehungsstraßen, Brückenbau, Lärmschutzmaßnahmen etc. Dass sich etwas in unseren Städten und Dörfern ändern muss, um die Dominanz der Autos zu reduzieren, liegt auf der Hand. Für viele Maßnahmen, die zum Vorteil der Autofahrer stehen, haben wir Geld, aber nicht für Maßnahmen zum Schutz aller Verkehrsteilnehmer?! Außerdem ist es keinesfalls so, dass die Fahrzeiten sich bei Tempo 30 wirklich ändern werden. Das muss natürlich von Fall zu Fall geprüft werden; aber Tests in anderen Städten haben ergeben, dass sich die Fahrzeiten im Stadtverkehr bei Tempo 50 gegenüber Tempo 30 kaum unterscheiden.

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